Reisebericht aus dem Sanella-Album Afrika

=========================================

Seite 59

Dort ging es über eine aus tauähnlichen Lianen kunstvoll gespannte und geflochtene Brücke. Der Weg schlängelte sich weiter durch die verworrenen Dickichte der Niederungen und stieg auf der anderen Seite in mitten üppiger Pisangpflanzungen zu der großen Fläche des Freiplatzes an. Als wir uns diesem näherten, wurden die Trommeln gerührt. Die Leibgarde bahnte sich eine Gasse durch das zusammengelaufene Volk. Dann wurden wir in eine königliche Palasthalle geführt. Sie glich eher einem Schuppen als einem Palast und war an beiden Giebeln offen. Hunderte von Trabanten und Vornehmen in vollem Waffenschmuck füllten bereits den Raum und saßen genau ihrem Rang entsprechend auf Bänken. Der Thron des Königs war noch leer. In der Nähe hatte man Stühle für uns hingestellt, auf denen wir Platz nahmen. In der Halle wurde unter ohrenbetäubendem Lärm mit Kesselpauken und Hörnern Musik gemacht. Mit diesen "heiteren" Klängen versuchten sich die Versammelten die Zeit zu vertreiben.

.

Es mochte wohl eine ganze Stunde gedauert haben, da kündigte sich das Nahen des Herrschers durch noch größeren Lärm, durch Hörnerklang, Trommelwirbel und Volksgeschrei an. Dann endlich schritt der lang erwartete König stolz und gravitätisch durch die Halle. Voran gingen Musikanten, die auf kunstvoll geschnittenen Elfenbeinhörnern bliesen oder plumpe, aus Eisenblech roh gehämmerte Glocken schwangen. Dem in Putz und Haltung wildromantisch bemalten Despoten folgte eine Schar seiner Lieblingsfrauen. "Seine Exzellenz" ging stolz an uns vorüber, würdigte uns noch keines Blickes und setzte sich dann auf den bereitgestellten Thron. Staunend betrachtete ich das ungewohnte Bild des Kannibalenkönigs, von dem man sich erzählte, daß er Menschenfleisch keineswegs verachtete. Er war von hoher Gestalt und von kräftigem Wuchs. Trotz seines nicht unschönen Aussehens wirkte er nicht sympathisch. In seinen Augen lauerte ein wildes Feuer, und um den Mund ging ein Zug, in dem Habsucht, Gewalttätigkeit und die Freude am Grausamen zum Ausdruck kamen. An Armen und Beinen, an Hals und Brust war er mit vielem fremdartig geformtem Schmuck mit Ringen und Ketten geradezu überladen. Auf seinem Kopf trug er einen imposanten Federhut. Dieser bestand aus einer schmalen Röhre von feinem Geflecht und war mit roten Papageienfedern und großen Federbüscheln geschmückt. Kaum hatte der König Platz genommen, da wurden ihm auch schon zur Rechten und Linken schöngeschnitzte Tische hingestellt. Darauf lagen, sorgfältig von Feigenrinde bedeckt, allerlei Naschereien. Von Zeit zu Zeit angelte er sich mit seinen schwarzen glänzenden Fingern einige besonders gute Bissen heraus.

.

Die kunstvollen Flaschen aus porösem Ton, die Trinkwasser enthielten, ließ er dagegen unbeachtet. Das wilde Toben der Fanfaren verstummte sofort, als sich der König erhob. Wohlgefällig und von seiner Wichtigkeit überzeugt, stand er da und hielt eine lange Rede. Seine Untertanen folgten seinen Worten mit größter Aufmerksamkeit und brachen immer wieder in beifälliges Lärmen und Schreien aus. Bei seinen letzten Worten mußte er wohl auch von uns gesprochen haben, denn bald darauf waren wir Mittelpunkt des Interesses. Nachdem sich der König wieder gesetzt hatte, erhob sich Bill, um ihn zu begrüßen. Das ganze Theater hatte wohl wenig Eindruck auf ihn gemacht.

.

 Bildrückseite 81 

   Bildrückseite 82